Mit dem Skalpell gegen überflüssige Pfunde
Interview mit Dr. Elena Junghans über die Adipositas-Chirurgie
Übergewicht ist nicht nur in Deutschland ein zunehmend existentes Problem. Adipositas ist vor allem eine chronische Erkrankung, die ernsthafte Folgeerkrankungen wie Gelenk-, Sehnen- und Wirbelsäulenbelastung bis hin zur Schädigung der Organe, Bluthochdruck und hohe Blutzucker werte nach sich ziehen kann.
Betroffene sind oft körperlich und sozial massiv einschränkt. Nicht zuletzt geschieht dies auch wegen einer gesellschaftlichen Stigmatisierung, die Adipositas ausschließlich mit Fehl verhalten oder Charakterschwäche in Verbindung bringt. Adipositas wird jedoch nicht allein durch falsche Ernährung und Bewegungsmangel hervorgerufen, sondern hat komplexe Ursachen. Dies können Veranlagung, Folgen anderer Erkrankungen, Nebenwirkung mancher Medikamente sowie seelische Einflüsse und vermutlich auch bis heute nicht entschlüsselte Stoffwechseldefekte sein. Das Adipositas-Team des DIAKO um Professor Dr. Stephan M. Freys und der verantwortlichen Oberärztin Dr. Elena Junghans, die seit März dieses Jahres in dieser OÄ-Position im DIAKO arbeitet, behandelt krankhaft Übergewichtige, wenn keine andere Möglichkeit mehr besteht, ein Normalgewicht zu erreichen.
Frau Dr. Junghans, wie ist krankhafte Fettleibigkeit (Adipositas) definiert?
Zur Einteilung der Fettleibigkeit hat sich international der Body-Mass-Index (BMI) etabliert. Hierbei handelt es sich um eine Formel zur Errechnung des Grades des Übergewichtes basierend auf dem Körpergewicht im Verhältnis zur Körpergröße (Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Meter zum Quadrat, kg/m2). Ab einem BMI von 25 kg/m2 bis 30 kg/m2 spricht man von Übergewicht. Die eigentliche Fettleibigkeit beginnt ab einem BMI von 30 kg/ m2, wobei die krankhafte Fettleibigkeit ab einem BMI von 40 kg/m2 definiert ist.
Hat die chirurgische Behandlung adipöser Patienten einen Vorlauf?
Ja, aber bevor ich auf Ihre Frage eingehe, möchte ich noch erwähnen, dass wir bei der Behandlung eng mit dem Adipositas-Netzwerk der AOK Bremen/Bremerhaven zusammenarbeiten. Das vom DIAKO mitgegründete Adipositas-Netzwerk, dem unter anderem auch das Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung (IPP) und das Klinikum Bremen Mitte angehören, ermöglicht eine eng vernetzte Behandlung von Menschen mit krankhaftem Übergewicht. Beteiligt sind Mediziner, Psychologen, Physiotherapeuten, Ernährungsspezialisten, plastische Chirurgen und Selbst hilfegruppen. Nicht zu vergessen: In den DIAKO-Gesundheitsimpulsen bieten wir Bewegungskurse für übergewichtige Patientinnen und Patienten an. Im Rahmen des Netzwerkes haben wir ein sechsmonatiges Programm aufgelegt, das die Patientinnen und Patienten vorab durchlaufen. Hier wird überprüft, ob konservative Maßnahmen geeignet sind, das Gewicht zu reduzieren und eine Operation zu vermeiden. Die Patienten müssen unter ärztlicher Aufsicht versucht haben, über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten durch Diät oder Sport abzunehmen. Ferner dürfen sie kein Suchtpotenzial aufweisen und müssen bereit sein, ihre Lebens- und Essgewohnheiten dauerhaft umzustellen. Erforderlich ist auch, dass ein psychologisches Gutachten die Eignung zur Durchführung einer Operation bestätigt.
Wie sieht dieses Programm konkret aus?
Es enthält die Bestandteile Ernährungsberatung, Bewegung und Verhaltenstherapie. Es geht unter anderem um Frustbewältigung und die Aufarbeitung persönlicher psychischer Problematiken. Erst wenn sich zeigt, dass diese Maßnahmen allein nicht reichen, um das krankhafte Übergewicht zu mindern, gehen wir den nächsten Schritt. Es bleibt schon die extreme Ausnahme, dass es stark adipösen Menschen aus eigener Kraft gelingt, das Übergewicht zu reduzieren.
Warum eine operative Behandlung bei krankhafter Fettleibigkeit?
Da es sich bei der krankhaften Fettleibigkeit um mehr als ein nur kosmetisches Problem handelt, wird ihrer Therapie zunehmend Bedeutung beigemessen. Die Fettleibigkeit an sich stellt ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko dar. Typ-II-Diabetes, Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Schlafapnoe sowie Rücken- und Gelenkschmerzen werden nachweislich durch die Fettleibigkeit ausgelöst. Außerdem haben übergewichtige Patienten eine um bis zu zehn Jahre reduzierte mittlere Lebenserwartung. Dies hängt nachweislich stark mit der Ausprägung der Begleiterkrankungen wie z. B. Typ-II Diabetes und Bluthochdruck zusammen. Bei Untersuchungen hinsichtlich der Lebensqualität von adipösen Patienten konnte gezeigt werden, dass Fettleibige eine Lebensqualität haben, die teilweise so schlecht ist wie die von Patienten, die an bösartigen Tumorerkrankungen leiden. Nach Ausschöpfung sämtlicher nicht operativer Maßnahmen zur Gewichtsreduktion kommt daher der chirurgischen Therapie (so genannte bariatrische Chirurgie) zunehmend große Bedeutung zu. Die Ergebnisse bezüglich der Gewichtsreduktion und dadurch der Verringerung der Nebendiagnosen sind sehr überzeugend.
Was bewirkt der operative Eingriff?
Operative Eingriffe am Magen haben zum Ziel, die Nahrungsaufnahme und/oder die Absorption der Nährstoffe im Magen- Darm-Trakt einzuschränken. Auf dem alleinigen Prinzip der Reduzierung der Nahrungsmenge, der so genannten Restriktion, beruht die Anlage eines Schlauchmagens. Die Reduzierung der Nahrungsmenge und die verringerte Aufnahme der Nährstoffe, die so genannte Malabsorption, werden durch die Anlage eines Magenbypasses oder eines Minibypasses erreicht. Ich möchte hinzufügen, dass die Operation nur ein kleiner Baustein auf dem Weg ist, das massive Übergewicht in den Griff zu kriegen. Nach dem Eingriff ist es schlicht nicht möglich, viel zu essen. Das kann sich aber ändern, wenn die Patienten nicht ein Leben lang dranbleiben und ihr Essverhalten ständig kontrollieren.
Wie stelle ich mir eine solche Operation vor?
Der Eingriff erfolgt in Vollnarkose. Über insgesamt fünf bis sieben kleine Hautschnitte verschafft man sich Zugang zur Bauchhöhle und zum Magen. Unter Sicht einer Videokamera wird dann das entsprechende Operationsverfahren durchgeführt. Je nach Operationsverfahren kann das Einlegen einer Wunddrainage notwendig werden. Danach werden die kleinen Hautschnitte mit Nähten verschlossen und mit sterilen Pflastern verbunden. Nur in sehr seltenen Fällen kann es notwendig werden, die Operationen über einen großen Bauchschnitt durchzuführen.
Wie viel Adipositas- Operationen werden im DIAKO jährlich durchgeführt?
Im Moment führen wir am DIAKO jährlich zwischen fünfzig und sechzig bariatrische Operationen durch, mit steigender Tendenz. Mit Einführung des Magen-Bypasses in unser Operationsangebot Anfang dieses Jahres wird sich diese Tendenz noch weiter verstärken. Ich denke, wir sind hier am DIAKO für Bremen ganz gut aufgestellt.
Welche Bedeutung kommt den Selbsthilfegruppen zu?
Die kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Bei der lebenslangen Aufgabe, das eigene Essverhalten stets im Auge zu behalten, sind die Erfahrungen der Betroffenen aus der Selbsthilfegruppe und Andreas van Lent, der im DIAKO auch als Patientenberater tätig ist, eine enorme Hilfe. Die Betroffenen erfahren: Ich bin nicht allein und sie sehen, wie Andere ihr Schicksal meistern. Dieser gemeinsame Weg stärkt die Aktivitäten. Wenn die Operation erfolgreich war und die Patienten ihr Essverhalten ändern, kann es zu enormen Gewichtsverlust kommen, so dass große Hautschürzen von einzelnen Partien des Körpers hängen.
Wie gehen Sie damit um?
Es ist die Aufgabe der plastischen Chirurgie am DIAKO, den Körper nach dem Gewichtsverlust wieder zu straffen und die Konturen wieder zu formen. Professor Christian Herold, der Leiter unserer Sektion Plastische Chirurgie, nimmt diese Eingriffe vor, bei denen es nicht allein um optische Korrekturen geht, sondern auch um funktionale Verbesserungen.
Interview: Ingo Hartel